Fachräume gegen Wattflächen getauscht
Gleich in der ersten vollen Schulwoche nach den Sommerferien tauschten die Schülerinnen und Schüler der Biologie- und Chemiekurse die Fachräume gegen Wattflächen, Salzwiesen und ein Chemielabor unter freiem Himmel. Sie arbeiteten eine Woche auf Hallig Hooge mitten im Schleswig-Holsteinischen Wattenmeer. Das wissenschaftspropädeutische Arbeiten in der Naturwissenschaftlichen (Arbeits-)Woche gehört zum Schulprogramm des ÖDG: An verschiedenen Stationen werden Zusammenhänge zwischen Flora, Fauna, abiotischen Parametern und dem kulturgeschichtlichen Hintergrund erarbeitet.
Schnell merken die angehenden Abiturienten dabei, dass Freilandökologie anders ist als das Studium von Büchern: Es bedeutet selbständige Probennahme, Bestimmung von Tieren und Pflanzen, Durchführung chemischer Wasseruntersuchungen oder das Anlegen eines Bodenprofils. Und auch, Lösungen zu finden, wenn die Salzwiese kurz vor den Untersuchungen plötzlich gemäht wurde oder wenn einer der Werte der chemischen Wasseruntersuchungen aus der Reihe fällt und zunächst keine schlüssige Erklärung parat ist.
Die Halligen sind keine Urlaubsinseln - Wer baden will, wird enttäuscht. Statt Flipflops braucht man Gummistiefel oder besser noch: gar keine Schuhe. Zweimal am Tag fällt der Meeresboden trocken und hinterlässt ausgedehnte Wattflächen aus Schlick und Sand und dazwischen fließenden Wasserläufen. Diese betritt man am besten barfuß und ausgestattet mit Pflöcken, Forke und Bestimmungsliteratur.
Kaum einer der angehenden Abiturientinnen und Abiturienten wäre vor der Nawi-Woche auf die Idee gekommen, hier Urlaub zu machen – aber diese einzigartige Landschaft gesehen und erlebt zu haben, wurde von allen als Bereicherung empfunden: Das „Setting“ für die Nawi-Woche stimmte. Manche überlegten auf der Rückfahrt sogar, hier doch vielleicht einmal Urlaub zu machen oder sich für ein freiwilliges ökologisches Jahr zu bewerben.
Halligen sind von Wattenmeer umschlossene Gebiete meist ohne richtigen Deich. Sie werden mehrmals im Jahr überflutet – dann ragen nur noch die auf besonderen Hügeln, den Warften, stehenden Häuser aus der Nordsee heraus. Die Bezeichnung „Insel“ passt daher gar nicht und wird von Halligbewohnern konsequent vermieden.
Das Wattenmeer mit seinen Halligen ist nicht nur für Deutschland, sondern weltweit einzigartig und wurde genau deshalb zum UNESCO-Weltnaturerbe erklärt. Analog zu den Big Five in Afrika spricht man im Wattenmeer von den Small Five, wenn man die wichtigsten Vertreter der Wattfauna meint oder den Flying Five in Bezug auf die typischen Vogelarten. Die im Watt beheimatete Fauna – vom Wattwurm bis zur Strandkrabbe - ist reichhaltige Nahrungsgrundlage für die vielen Vogelarten, die auf ihrem Zug hier Rast machen oder im Sommer hier brüten. Das Wattenmeer ist eine Drehscheibe des Vogelzugs. Nicht zuletzt ist das Wattenmeer mit den Halligen auch kulturhistorisch interessant: Es ist ehemaliger Teil des Festlands, das bei Sturmfluten im 14. und 17. Jahrhundert vom Meer überflutet wurde. Es lag für uns deshalb nahe, davon ausgehend auch die Zukunft des Wattenmeeres und der Halligen zu betrachten und angesichts des menschgemachten Klimawandels diese Perspektiven in den Blick zu nehmen.
Christian Bartels